aktuell aus dem Rathaus
Redebeiträge gegen Ausweitung der Sonntagsöffnungszeiten Ratssitzung 31.08.2016
Den meisten der Anwesenden dürfte bekannt sein, dass die ÖDP eine werteorientierte grüne Partei ist, die den Menschen vor den Profit stellt. Da verwundert es wohl kaum, dass uns der Stopp der weiteren Aushöhlung des gesetzlich festgeschriebenen Sonntagsschutzes eine Herzensangelegenheit ist.
Deshalb muss ich nerven. Wahrscheinlich sogar mit mehreren Wortbeiträgen, auch wenn Herr Weber meint, ich behindere damit vernünftige Kommunalpolitik. Aber wenn selbst die Christlich Demokratische Union inzwischen die christlichen Werte verrät, muss wenigstens einer in diesem Hause den Wählern sagen, dass es doch noch jemanden gibt, dem diese Werte etwas bedeuten.
„Ohne Maß ist die Freiheit der Ruin.“ Na, von wem ist das? Nochmal, weil's so schön ist: ….
Das klär ich am Ende auf...damit mir der ein oder andere auch zuhört.
Das ist es, was wir als ÖDP anprangern: Die Maßlosigkeit in unserer Gesellschaft – auf allen Ebenen – vor allem aber beim Konsum. Damit ruinieren wir nicht nur den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, sondern letztlich unseren Planeten.
Für uns geht es bei der Frage der zusätzlichen verkaufsoffenen Sonntage auch darum, einen weiteren Dammbruch zu verhindern: Darum, dass eine Jahrhunderte alte, bewährte Tradition aus vielen Hochkulturen nach und nach aufgegeben wird zu Gunsten rein wirtschaftlicher Interessen Weniger . Es gibt für den Rat neben der Verpflichtung seinen Teil für eine funktionierende Wirtschaft zu leisten auch die Pflicht, sich um das Wohl der Bürger dieser Stadt zu kümmern.
Ich bin in den 60er und 70er Jahren groß geworden. Da boomte die Wirtschaft. Es mussten Bedürfnisse gedeckt werden. Das ging übrigens problemlos von Montag bis Freitag zwischen 9 und halb sieben, sowie samstags bis 2. Dass wir damals nicht verhungert sind....Und heute? Da müssen Bedürfnisse überhaupt erst mal geweckt bevor sie gedeckt werden. Die Märkte sind übersättigt; die Menschen haben – materiell - alles, was sie zum Leben brauchen. Schauen Sie doch mal in die Geschäfte: Wie viele davon gibt es inzwischen, wo Sie Dinge kaufen können, die niemand wirklich benötigt....Und? Sind die Bürger heute glücklicher/zufriedener, als vor 40 Jahren?
Wird jemand dauerhaft glücklich, wenn er immer mehr konsumiert? Nein! Dauerhaft glücklich wird nur, wer in einem funktionierenden sozialen Gefüge lebt. Immer mehr vom immer Selben löst das Problem nicht. Die Menschen sind satt – zumindest materiell. Sozial verhungern dafür immer mehr. Und genau hier ist der freie Sonntag für sehr Viele ein notwendiger Ankerpunkt: Familie, Sport, Kultur, Ehrenamt, was auch immer, funktionieren nur, wenn es konsensuell einen freien Tag in der Woche für möglichst Viele gibt. Und das ist nun mal seit Jahrhunderten der Sonntag. Ich verweise auf die Schreiben von KAB und DGB, die an alle Ratsmitglieder gegangen sind.
Nach dem Appell, sich mal Gedanken über die Zukunft im Allgemein zu machen, ob es für unsere Gesellschaft gesund ist, die Beschleunigung sämtlicher Lebensbereiche weiter anzuheizen, ein paar Anmerkungen zur politischen Dimension der heutigen Ratsentscheidung:
Wenn heute jeder der Stimmberechtigten so abstimmen würde, wie es der Gesetzgeber erwartet, nämlich dass er seinem Gewissen folgt und nicht der Parteiräson, gäbe es bei Weitem keine Mehrheit für weitere Ladenöffnungszeiten.
Wenn Grüne und SPD Ratsmitglieder bei der Abstimmung den Saal verlassen, weil sie ihrem offiziell gar nicht vorhandenem Fraktionszwang nicht folgen wollen; wenn grüne Ratsmitglieder ihre Unterschrift zum Bürgerbegehren geben, aber im Rat für die Sonntagsöffnung stimmen; wenn grüne Ratsmitglieder offen sagen, dass sie den Bürgerentscheid unterstützen werden, aber wegen ihres „Gestaltungswillens“ mit der CDU gestimmt haben; wenn CDU Mitglieder ihr Bekenntnis zum Christentum abgeben, aber in dieser Kernfrage reinen Wirtschaftsinteressen folgen, statt der Forderung beider christlicher Konfessionen zu entsprechen; wenn also heute so viele Ratsmitglieder gegen ihre Überzeugung abstimmen....was sagt das über den Zustand unserer Demokratie und damit auch über den Zustand unserer Gesellschaft aus? Wer wundert sich noch, dass sich viele Menschen denen Moral und Ethik noch etwas bedeuten, angewidert abwenden....
Gibt es noch Idealisten hier im Saal? Hat noch irgendjemand hier einen Rest von Rückgrat? Das Fatale ist ja, dass die Abweichler bei CDU, SPD und Grünen es nicht mal bei geheimer Abstimmung wagen würden, ihrem Gewissen zu folgen. Das könnte ja bei ehrenamtlichen Kommunalpolitikern bedeuten, bei der Kandidatenaufstellung zur nächsten Wahl das Mandat zu verlieren, was wiederum schlecht fürs Ego wäre. Ich könnte mich in Rage reden...
Jedenfalls sind 342.000€ für einen Bürgerentscheid gut angelegtes Geld. Auch wenn die Gerichte voraussichtlich sämtliche Erweiterungspläne der Sonntagsöffnungszeiten kippen werden. Wir als Ratsgruppe wollen wissen, was die Mehrheit der Bürger wirklich denkt und will. Wir werden alles daran setzen, die Bürger über die Vor- und Nachteile aufzuklären und richten schon heute den Appell an alle Wahlberechtigten, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen, damit es nicht zu einer Situation wie beim Brexit kommt.
Die ÖDP zum 3.: Wir sind ja nicht nur Ökospinner, Gutmenschen und Idealisten, wir liefern auch zumindest Denkansätze für Lösungsmöglichkeiten. Nur jammern und den falschen Adressaten für das eigene Elend anklagen, wie es die Hiltruper Kaufleute getan haben, ist wenig hilfreich. Die Veröffentlichungen dazu lesen sich so, als müssten nun alle Hiltruper Geschäfte schließen, weil die Gewerkschaft Verdi dem Recht zur Geltung verholfen hat. Eine Demo vor dem Rathaus wäre die richtige Antwort auf die Entscheidung des OVG gewesen, denn der Rat hat etwas ungesetzliches beschlossen.
Immer mehr vom immer Gleichen hilft nicht weiter. Im Grunde wird versucht, ein sterbendes Pferd weiter zu reiten, statt auf ein Neues zu setzen. Die Bürger entscheiden mit ihrer Geldbörse, wo sie einkaufen. Also gibt es 2 Möglichkeiten, eine vermeintliche Fehlentwicklung auszugleichen:
1. Der stationäre Einzelhandel muss attraktiver sein, als der Internethandel: Bessere Beratung, persönlicher Kontakt zum Kunden, die Möglichkeit die Ware real in Augenschein und ausprobieren zu können, müssen beworben werden. Dazu noch eine Aufklärungskampagne der Kaufmannschaft über die gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen – nicht nur die wirtschaftlichen Folgen verödender Ladenzeilen, Stadtteile und Innenstädte. Dies wären die Hausaufgaben der Händler.
2. Der Gesetzgeber hat die Pflicht, das Gemeinwohl zu schützen. Wenn er dies durch den Internethandel gefährdet sieht, muss er eingreifen. Eine deutliche Verteuerung von Versand und Rücknahme der Ware, die ja zur Zeit für den Kunden überwiegend kostenlos sind, wäre aus gesellschaftlicher und ökologischer Sicht absolut wünschenswert.
Steuern heißen so, weil sie genau das tun sollen!
Wir können auch das Pferd endgültig zu Tode reiten und aus geschlossenen Läden Wohnungen machen – aber nur stumpf die Öffnungszeiten zu erweitern ist wie vor dem Abgrund nochmal Gas geben....
Zum Schluss komme ich noch mal auf mein Anfangszitat zurück. Das ist von Wolfgang Schäuble, das er zwar im Zusammenhang mit der Finanzkrise 2009 gebracht hat, das aber nach Auffassung der ÖDP für nahezu alle Bereiche unseres heutigen Alltags gilt:
„Ohne Maß ist die Freiheit der Ruin!“
Sie haben es überstanden! Danke schön!