Antrag / Anfrage / Rede
Haushaltsrede 2014
11.12.2013
Haushaltsrede von Ratsherrn Franz Pohlmann
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister!
Meine Damen und Herren!
Als gebürtigem Rheinländer ist mir die westfälische Mentalität mitunter ebenso fremd, wie das Verhalten der Politiker im Allgemeinen. Ich möchte Ihnen dies heute an Hand des „Kölschen Grundgesetz“ verdeutlichen:
Halt! Stopp! Tut mir leid! Hat’s überhaupt jemand bemerkt? Ich hab die falsche Rede dabei – Moment – das war die vom letzten Jahr! Sorry! – Obwohl, ist eigentlich auch egal!
Oder hat jemand bei meinen Vorrednern was Neues gehört?
Also: Same procedure as every year, James!
Aber – Spaß beiseite! – Eigentlich ist die Lage nämlich viel zu ernst! Wir müssen Grundsätzliches ändern, wollen wir, dass unsere Kinder und Enkel in Zukunft auch nur noch halbwegs so gut leben können wie wir!
Die Ratsgruppe aus UWG und ÖDP lehnt den vorgelegten Haushaltsplanentwurf 2014 aus grundsätzlichen Erwägungen ab. Bewege ich mich im bestehenden System, finde ich durchaus Punkte im Haushalt, denen ich zustimmen würde. Ich sehe auch gute Ansätze, so z.B. Rücknahmen im Bereich „Bau, Steine, Erden“, gewisse Verbesserungen in der Kulturförderung, in der Bildung oder im Umweltbereich. So kommen wir aber nicht weiter.
Da können Sie, werter Herr Oberbürgermeister, mich noch so oft zur Räson rufen, wenn ich Nicht-Mainstreampositionen vertrete! Gerade weil der Mainstream in die Sackgasse führt, muss ich als verantwortungsvoller Bürger einen Haushalt ablehnen, bei dem es nur darum geht, sich im bestehenden System möglichst lange über Wasser zu halten! Ich benutze mal das Bild des Kämmerers: Wir sitzen in der vollen Badewanne, halten den Kopf so gerade über Wasser und ziehen den Stöpsel, während jemand, der unsere Hilferufe nicht hört, den Hahn immer weiter aufdreht!
Die Ratsgruppe hat eine grundsätzlich andere Vorstellung von der Aufgabe von Politik. Sie soll eben nicht dem Mainstream hinterher hecheln, sondern aktiv Zukunft gestalten! Jede Generation ist für sich nur ein Wimpernschlag der Geschichte und politische Entscheidungen sollten möglichst eine Gültigkeit über Generationen haben und eben nicht dem politischen oder gar persönlichen Kalkül geschuldet sein. Mitunter beträgt die Halbwertszeit politischer Entscheidungen nur Tage – wie im Falle des städtischen Haushalts, der in Teilen Makulatur sein wird, bevor er gedruckt ist.
Ich versuche mal, Ihnen unsere Denkweise an Hand der Höfeordnung zu erläutern: Der Erhalt des Hofes als Existenzgrundlage für die nächste Generation hat oberste Priorität. Der jeweils formale Eigentümer des Hofes ist moralisch gesehen nur sein Pächter, der Verwalter auf Zeit. Der Hof ist ein Wert an sich, den es für die nächste Generation mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu erhalten gilt.
Dieses Bild müsste nach meiner Auffassung auch Leitbild der Haushaltspolitik und der Politik im Allgemeinen, und das nicht nur in Münster, sein. Unsere Haushaltspolitik führt in die Sackgasse, weil das Bild des Kämmerers von der vollen Badewanne mit dem der Höfeordnung nicht in Deckung zu bringen ist. Die Finanzierung der Kommunen muss auf solide Füße gestellt werden. Der Solidarpakt Stadtfinanzen ist absolut kontraproduktiv.
Wollten wir unsere Entscheidungen immer auf ihre Nachhaltigkeit hin überprüfen, bräuchten wir im Gegenzug verlässliche Einnahmen.
Bezeichnend für die heutige Situation ist, dass der Finanzausschuss unseren GO Antrag nicht aufgegriffen hat. Die Ablehnung ist ein deutliches Zeichen für die politische Kultur in Deutschland. Wir haben unseren Antrag auf der Gästetribüne verteilt und ich bitte die Zuhörer, mal die von ihnen gewählten Ratsvertreter zu befragen, warum sie diese Selbstverpflichtungserklärung nicht unterstützen wollten.
Wir sind uns als Ratsgruppe darüber einig, dass wir lieber freiwillig und gezielt auf viel liebgewonnenes verzichten sollten, als dass uns irgendwann eine Lawine überrollt, die wir nicht mehr aufhalten können. Nur ein paar Schlagworte dazu: Weniger ist mehr, Wertewandel vom Konsumterror zur Entschleunigung, Weg von Egozentrismus und Individualismus hin zu Gemeinsinn und Menschlichkeit.
Dazu ein Zitat des Oldenburger Volkswirtschaftlers und Wachstumskritikers Nico Paech: Souverän ist nicht, wer viel hat, sondern wer wenig braucht! Anders gesagt: Nur wer sich vom Wachstums- und Konsumzwang befreit, kann ein selbstbestimmtes Leben führen und trägt dazu bei, dass auch nachwachsenden Generationen ein halbwegs sorgenfreies Leben möglich ist.
Die Initiative für wirklich grundlegende Veränderungen in unserer Gesellschaft im wirtschaftlichen wie im sozio-kulturellen Bereich muss von unten kommen, aus der Mitte der Gesellschaft, davon bin ich überzeugt. Wir Kommunalpolitiker sollten noch so nah am Bürger sein, dass wir Tendenzen und Strömungen in der Gesellschaft für einen Wandel zum Positiven aufnehmen und fortentwickeln können sollten. Wenn ich mich umhöre, den Menschen zuhöre, glaube ich, mit meiner Vorstellung eines guten Lebens nicht so falsch zu liegen. Viele Bürger haben durchaus verstanden, dass wir nicht einfach immer so weitermachen können, wie bisher.
Aber ich behaupte mal, dass viele von uns in ihrem Hamsterrad die Fähigkeit verloren haben, ihre Zeit selbstbestimmt einzuteilen und hinzuhören. Ein weiterer Grund ist sicher die Komplexität unserer Gesellschaft. Wie sehr wir unter Druck sind, sieht man selbst hier, heute Abend! Wir haben über nicht weniger als 53 Vorlagen zu entscheiden! Es wird mit Sicherheit Mitternacht werden. Kein Mensch kann einer solchen Mammutsitzung über mehrere Stunden hinweg mit der gebotenen Konzentration folgen und das nach einem vollen Arbeitstag! Aber die rund 300000 Bürger dieser Stadt haben ein Recht auf verantwortungsvolle und durchdachte Entscheidungen.
Ich bin davon überzeugt, dass sehr viele Bürger wissen, dass wir mit unserem Raubbau an Mensch und Umwelt nicht mehr weitermachen dürfen. Viele wissen auch, dass weniger oft mehr bedeutet. Sie wären bereit zu verzichten, wenn die Politik ihrer Aufgabe gerecht würde und ihr Selbstverständnis überdächte, weg vom Selbstzweck, hin zum vorausschauenden Volksvertreter. Wir brauchen eine andere Denkweise, geprägt von offenem Dialog, von Ehrlichkeit. Unsere Gesellschaft steht vor existentiellen Problemen. Das wissen Sie alle.
Deshalb brauchen wir den Wandel. Einen Neustart. Wir brauchen Politiker, die sich ihrer Verantwortung für zukünftige Generationen stellen. Es reicht nicht mehr, an irgendwelchen Stellschrauben zu drehen. Die Ratsgruppe steht zu diesem Wandel aus der Mitte der Gesellschaft heraus. Lassen Sie uns in Münster damit anfangen! Wir haben die besten Voraussetzungen!
Das klingt nach Revolution. Ist es auch irgendwie. Aber wir sehen uns in einem christlich-werteorientierten und im eigentlichen Wortsinne konservativen –nämlich bewahrenden- Kontext. Und dieser erfordert die Veränderung. Zukunft kann nur gelingen, wenn wir für ihre Herausforderungen nach neuen, nachhaltigen Lösungen suchen und diese mutig angehen! Ansätze gibt es zu Hauf! Ich appelliere an alle Anwesenden im Saal, nicht die Augen zu verschließen und in Resignation zu verfallen, sondern stattdessen, jeder nach seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten für ein weiterhin lebenswertes Münster einzutreten.
Lassen Sie mich kurz noch unserer Verwaltung danken, die sich unermüdlich, oft auch an der Grenze der Belastbarkeit für die Belange dieser Stadt einsetzt. Ich weiß, dass Sie, genau wie viele andere Menschen, unter dem ständigen Diktat der Effizienzerhöhung und Beschleunigung leiden! Vielen Dank für ihren Einsatz, trotz der oftmals widrigen Umstände!
Ich wünsche Ihnen allen, dass Sie in der Weihnachtszeit und zum Jahreswechsel die Zeit finden, im eigentlichen, wie auch im übertragenden Sinne, zur Besinnung zu kommen!
Lassen Sie mich mit einem Zitat unseres Papstes Franziskus enden:
„Geld muss uns dienen, nicht über uns herrschen!“
Vielen Dank!
Münster, den 11.12.2013 ÖDP Ratsherr Franz Pohlmann